Positiv
Regelmäßiger Check empfehlenswert
Szene-Ärzte registrieren vermehrtes Auftreten von Syphilis, Tripper und anderen Geschlechtskrankheiten
Quacksalber! Diesen Schimpfnamen verdanken die Ärzte der Syphilis. Lange Zeit wurde die Lustseuche des 19. Jahrhunderts nämlich mit Quecksilber-Kuren behandelt, so dass die Opfer nicht nur an den Symptomen einer unheilbaren Krankheit litten, sondern auch noch schwere Vergiftungen davontrugen. Erst mit der Erfindung der Antibiotika bekam man das Leiden in den Griff. Ausgerottet wurde sie freilich nicht. Jetzt schlagen einige Ärzte Alarm: Die Syphilis scheint in der Berliner Schwulen-Szene wieder deutlich verstärkt aufzutreten. Auch andere Geschlechtskrankheiten wie Tripper (medizinisch: Gonorrhöe) treten demnach zur Zeit häufiger aus. Eine deutliche Zunahme der Fälle in seiner Praxis konstatiert zum Beispiel Alex Rothhaar, Hautarzt mit HIV-Schwerpunkt in Schöneberg. Diesen Trend bestätigt auch Szene-Arzt Heiko Jessen, der seinen Emergency Room direkt über Toms Bar in der Motzstraße betreibt. Jessen diagnostiziert derzeit auch verstärkt Hepatitis, Herpes und Feigwarzen.
Das war zu erwarten, sagt Rainer Schilling, der bei der Deutschen AIDS-Hilfe für die Prävention zuständig ist. Nach Einschätzung der meisten HIV-Experten hat das Safer-Sex-Verhalten der schwulen Männer in letzter Zeit gelitten (SIEGESSÄULE berichtete) das vermehrte Auftreten von Geschlechtskrankheiten könnte ein Beleg für diese Einschätzung sein. Allerdings sind Syphilis, Tripper und Co. deutlich leichter übertragbar als HIV. Die Erreger sind zwar empfindlich, aber hoch infektiös, erklärt Heiko Jessen. Ein lebensnahes Beispiel gibt Alex Rothhaar: Wenn, auf deutsch gesagt, bei einer Gruppenfickerei die Hand vom Schwanz des einen in wenigen Sekunden zum Hintern des nächsten wandert, hält das der Tripper-Erreger schon aus. Syphilis wie Tripper können im Extremfall schon durch Schleimhautkontakte übertragen werden, etwa beim Küssen. Das Risiko steigt massiv, wenn kleine Wunden vorhanden sind.
Rothhaar empfiehlt derzeit ein wenig Zurückhaltung. Generell gilt: Safer Sex vermindert nicht nur das Risiko einer HIV-Infektion, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, es mit anderen Geschlechtskrankheiten zu tun zu bekommen. Die Experten raten außerdem einhellig, sich ein- bis zweimal pro Jahr routinemäßig von einem Facharzt untersuchen zu lassen, sofern man nicht monogam oder abstinent lebt auch wenn keine Krankheitssymptome aufgetreten sind. Das ist gewiss nicht verkehrt, sagt Rainer Schilling lakonisch, eine Gehirnerweichung möchte ja wahrscheinlich niemand gerne haben.
Vollkommen gaga geworden, erlag vor 100 Jahren der Philosoph Friedrich Nietzsche der Syphilis. Heute muss es zum gefürchteten dritten Stadium der Krankheit nicht mehr kommen rechtzeitig erkannt, ist sie gut behandelbar. Im ersten Stadium bildet sich zumeist zwei bis drei Wochen nach der Infektion an der Eintrittssstelle des Erregers also meist am Schwanz, am Mund oder am Anus ein offenes, aber schmerzfreies kleines Geschwür. Es kann leicht mit Herpes verwechselt werden und ist sehr infektiös. Etwas später kommt es zu Lymphknotenschwellungen. Wochen bis Monate danach beginnt das zweite Stadium, in dem in der Regel unterschiedliche Hauterkrankungen auftreten. Die Syphilis gilt als Chamäleon der Krankheiten, weil sie viele Symptome ganz verschiedener Art haben kann. Außerdem bleibenn die ersten Stadien manchmal sogar vollkommen aus. Daher kann nur ein Bluttest für Sicherheit sorgen.
Ein Tripper äußert sich meistens durch Jucken, Brennen und Ausfluss aus der Harnröhre. Die Infektion kann jedoch gerade im Analbereich auch lange unbemerkt bleiben, ebenso die Hepatitis, die zunächst oft nur grippeartige Beschwerden verursacht. Gegen Hepatitis A und B kann man sich durch eine Impfung schützen.
Die offizielle Statistiken, die das Berliner Robert-Koch-Institut im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit erstellt, weisen derzeit noch nicht auf einen Anstieg der Syphilis und der Gonorrhöe hin. Das ist zunächst nur ein subjektiver Eindruck, sagt Heiko Jessen. Die Statistik bedeutet jedoch auch keine Entwarnung, denn sie erlaubt nur eine sehr grobe Einschätzung der Lage: Lediglich 10 bis 15 Prozent aller Syphilisdiagnosen werden dem Robert-Koch-Institut gemeldet, und zwischen Diagnose und dem Bericht ans RKI liegen häufig mehrere Monate. Wir müssen solche Berichte von Ärzten ernst nehmen, sagt deshalb der Leiter der Arbeitsgruppe Aids-Zentrum des Instituts, Osamaha Hamouda. Das gilt auch für die Befürchtung, es könnten sich wieder mehr Schwule mit HIV infizieren. Nach dem gerade veröffentlichten HIV- und Aids-Halbjahresbericht 2000 wird die Zahl der Neuinfektionen zwar voraussichtlich wie im letzten Jahr bei etwa 2.000 Fällen liegen. Doch bei weitem nicht alle frisch Infizierten lassen sich auch auf HIV testen. Wenn die Zahl der Neuinfektionen bei den Schwulen um beispielsweise 200 Fälle steigt, können wir das mit unseren statistischen Mitteln kaum erkennen, warnt Hamouda.
Holger Wicht
- Ausführliche Informationen über Geschlechtskrankheiten: Bodycheck. Das schwule Gesundheitsbuch, Querverlag, 29,80 DM, sowie in diversen Broschüren der Aids-Hilfen, auch unter www.aidshilfe.de
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